Max Hermes ist TV-Reporter beim Nachrichtensender WELT. Acht Wochen lang berichtete der 32-jährige Tönisvorster zuletzt vom Ukraine-Krieg. Hier schildert er seine Eindrücke.

Für Journalisten sind Krisen immer auch berufliche Herausforderungen. Das war in meinem Fall nicht anders. Putins Soldaten hatten gerade begonnen, die Ukraine anzugreifen, als mich mein Chef Ende Februar anrief und bat, als Reporter von dem Krieg zu berichten. Was für mich naiverweise mit einem Koffer begann, der für eine Woche gepackt war, sollte zu einem zweimonatigen Dauereinsatz werden. Meine Stationen: zwei Wochen an der polnisch-ukrainischen Grenze in Przemysl, wo täglich Zehntausende ukrainische Geflüchtete in Zügen, Bussen oder mit dem eigenen Wagen ankamen; vier Wochen Lwiw (Lemberg), die Metropole im ukrainischen Westen und schließlich Kiew.

Meine Arbeitstage in diesem Zeitraum – selten kürzer als zwölf Stunden: In TV-Live-Schalten für meinen Arbeitgeber WELT, früher N24, schilderte ich meine Eindrücke vom Ort des Geschehens. Je nachdem, wie dringlich eine Situation ist, finden diese Schalten alle 30 Minuten statt. Zusätzlich drehte ich mit meinem Kameramann Interviews, fing Bilder ein, die wir am Abend zu einem Beitrag zusammengeschnitten haben, der dann am nächsten Morgen im TV und online bei welt.de zu sehen war.

Wie können wir sicher aus einem Kriegsgebiet berichten? Darüber macht sich in unserer Zentrale in Berlin ein ganzer Sicherheitsstab Gedanken. Das fängt bei der Ausrüstung an: Jedes Teammitglied ist mit einer schusssicheren Weste und einem Helm ausgestattet. Vor Ort gibt es speziell ausgebildete Personenschützer, die mir als Reporter helfen, die Gefahrenlage einschätzen zu können. Und es gibt Notfall-Pläne für den Fall der Fälle…

Kann man sich auf einen solchen Einsatz vorbereiten? Ja und nein: spezielle Trainings im Vorfeld sind für Journalist: innen die Grundvoraussetzung. Und doch ist es vor Ort anders: gleich in meiner ersten Nacht gab es Fliegeralarm, zehn Minuten Sirenen-Geheule. Instinktiv bin ich aus dem Bett gesprungen und habe mich dahinter versteckt. Richtig wäre gewesen, in den Bunker zu gehen. Und zur Wahrheit gehört auch: Je mehr solcher Nächte es gab, desto weniger dachte ich daran, sie mit anderen zusammen in einem Keller-Raum zu verbringen. Sechs Stunden Schlaf am Stück sind irgendwann wichtiger. Das alles in dem Wissen, dass der Krieg zu dem Zeitpunkt in anderen Teilen des Landes tobte, im Osten des Landes, der Donbass-Region.

In Kiew, dem zweiten Ziel meiner Ukraine-Reise, konnte ich mit eigenen Augen sehen, was dieser Krieg anrichtet: Im weltweit bekannt gewordenen Vorort Butscha wurde ich aus nächster Nähe Zeuge, wie Dutzende Leichen aus einem Massengrab gehoben und obduziert wurden. In Irpin oder Borodjanka sah ich ganze Straßenzüge, die zerbombt waren, kam mit Menschen ins Gespräch, deren Angehörige auf offener Straße erschossen wurden, einer 80-jährigen Frau, die seit sechs Wochen in einem Keller-Loch ohne Licht lebt. Die Reihe ließe sich endlos fortsetzen.

Während ich diese Zeilen schreibe, verbringe ich gerade ein paar freie Tag, bevor ich wieder in die Ukraine reisen werde. Während der Auszeit bin ich hauptsächlich in Berlin, meiner Wahl-Heimat, doch ich komme auch kurz nach St. Tönis, wo ich aufgewachsen bin und meine Eltern bis heute leben. Einmal durch den Ortskern schlendern, bei Steeg ein Stück Kuchen mitnehmen, im Forstwald joggen gehen: ein bisschen Normalität. Um ehrlich zu sein, hat es mich schon früh immer aus der Stadt rausgezogen: erst privat als Jugendlicher zu meinen Freunden nach Krefeld und ins Grotenburg-Stadion. Später beruflich dann nach Köln für ein Journalistik-Studium und meine anschließende TV-Ausbildung bei RTL/n-tv, und schließlich als fertigen Reporter erst für zwei Jahre nach Leipzig und jetzt in die Hauptstadt. Auch wenn ich für mich entschieden habe, in einer Großstadt leben zu wollen, genieße ich die Ausflüge ins ruhige Tönisvorst und die Offenheit der Menschen bei uns am Niederrhein umso mehr. Nicht zuletzt in diesen Tagen ist mir bewusst geworden, wie wichtig es ist, noch einen Ort zu haben, den ich Heimat nennen kann.

Bild: privat